Über die Berge bis ans Meer: mit dem Rad von München nach Venedig

Nach einer privat sehr turbulenten Zeit habe ich noch genügend Urlaub, um mich an ein Projekt zu wagen, was ich schon länger im Kopf habe, einmal länger raus sein. Vier Wochen Urlaub, mein Rad und ich. Die Tour ist schnell klar: München – Venedig – Rom. Viel Zeit für mich allein, Berge und Sport klingt nach einem perfekten Plan! Fit werde ich schon unterwegs und von ganz allein, denke ich mir …

11. September 2016

München – Bad Tölz

67,49km ↑548m ↓326m

Als ich bei bestem Radlerwetter in München starte, merke ich, dass mein GPS-Gerät München als Karte nicht hinterlegt hat. Ich hab zwar die Alpenregion drauf geladen, aber vergessen, nochmal zu checken, wie weit nördlich die Karte geht. Aber egal, der Track ist drauf, so dass ich zumindest anhand einer roten Linie nachvollziehen kann, in welche Richtung ich fahren muss. Doch das ist gar nicht nötig, denn die Route ist kaum zu  verfehlen und es geht auch immer schön der Isar entlang. Ich habe allerdings das Gefühl kaum voranzukommen, sicher, mit Gepäck fährt es sich auch anders als ohne. Und irgendwann stelle ich nach einem Blick auf die bisher absolvierten Kilometer auch fest, dass ich durchaus ein paar Höhenmeter bewältigt habe. Na also, doch kein Blei in den Beinen. Und schon ab Grünwald habe ich dann auch eine Kartenanzeige auf meinem GPS. Es gbit eine West- und eine Ostvariante mit der man den Weg Richtung Venedig beginnen kann. Angsichts mehr Wasser am Wegverlauf der Westvariante hab ich mich für diese entschieden, die auch nur 6 km länger ist. Frühstückspause mache ich an einem See, in dem es vor Karpfen wimmelt. Kurz hinter München werde ich mit meinem dick bepackten Rad schon angesprochen, was ich denn allein vorhabe. Als ich Rom als Ziel angebe, schüttelt der junge Mann nur ungläubig mit dem Kopf.

Wenig später wird der Beginn meiner Reise musikalisch untermalt. Auf der Isar zieht ein Floß nach dem anderen in die Gegenrichtung an mir vorbei. Immer dabei, eine Liveband und trinkendes Publikum auf dem Floß, und hin und wieder auch Männer, die Sorge tragen, dass nicht nur ihr Pegel, sondern auch der der Isar stabil bleibt. Ein guter Start, denn später lese ich ein wenig von der Geschichte der Flößerei, eine sehr alte Tradition, die bereits seit dem 13. Jahrhundert belegt ist. Und seit dem 15. Jahrhundert wurde sogar neben Weinen und Waffen venezianische Seide mit dem Floß transportiert. Heute dienen die Floße, die weiterhin der traditionellen Bauweise mit 18 Fichtenstämmen von je 18 Meter Länge entsprechen, nicht mehr dem Warentransport sondern eher der „Gaudi“. Ich radel unbeeindruckt weiter, bis ich auf die ersten richtigen Steigungen treffe. Mit Schotter als Untergrund habe ich so meine Probleme. Aber gut, ist ja auch erst der 1. Tag. Bei einem Anstieg steht ein Radler am Wegesrand und fragt mich nach etwas Essbarem. Er ist ebenfalls in München gestartet mit dem gleichen Tagesziel wie ich, hat aber kein Proviant dabei und die Tour vom Kraftaufwand unterschätzt. Wenn ich was habe, dann reichlich Proviant, das ich gern mit ihm teile. Den Rest der Strecke überholen wir uns immer wieder gegenseitig, ich hab offensichtlich noch die besseren Beine bei den Anstiegen, bin aber zögerlich, wenn es bergab geht.

Als ich das erste Mal nach einem Waldstück auf hügelige sattgrüne Wiesen und Bergpanorama treffe, steigert sich noch einmal meine Vorfreude auf alles, was da vor mir liegt. Und auch die trubelige Stadt und die vielen Ausflügler hinter sich gelassen zu haben, fühlt sich sehr befreiend an. Und dennoch bin ich froh und einigermaßen k.o. als ich in Bad Tölz ankomme. In der idyllischen Innenstadt sind die Häuser mit Lüftlmalereien verziert, aber ich möchte nur noch in meine Unterkunft. Abends gibt es Sauerbraten mit Klößen und eine Magnesiumtablette.

 

12. September 2016

Bad Tölz – Pertisau

69,46km ↑714m ↓428m

Das Wetter ist weiterhin traumhaft und die ersten Kilometer nach Lengries geht es durch eine schöne Heidelandschaft weiter entlang der Isar. Später ein Stück an der Straße. Heute merke ich die Steigungen sehr, Höhenmeter konnte ich bei meinen paar Wochenend-Touren in Berlin nicht trainieren. Ein separater Radweg führt zum Sylvensteinsee. Hoch über dem Wasser mache ich eine erste Pause. Das macht sich bezahlt, kurz darauf folgen einige Steigungen auf einem Kiesweg im Wald, und Kies oder Schotter sind weiterhin nicht meins. Das macht mir bergab auch nicht so viel Spaß, weil es sich sehr rutschig anfühlt. Des Öfteren muss ich schieben, auch das ist anstrengend.

Nachdem ich die Grenze zu Österreich passiert habe, rollt es sich herrlich bis zur nächsten Steigung. Dann folgt erneut ein Schotterweg mit einer sehr steiler Steigung. Ich kapituliere und nehme meinen ersten Umweg in Kauf, um ein Stück auf der Bundesstraße zu fahren. Zwar geht es auch hier bergauf, aber weniger steil und herrlich asphaltiert, auch wenn ich jetzt im Autoverkehr radeln muss. Als ich Achenkirch erreiche, bin ich bereits einigermaßen erledigt, aber ich weiß, dass der Achensee und somit mein heutiges Etappenziel nicht mehr weit entfernt ist. Der letzte Stück führt dann am Wasser entlang und ist wunderschön. Ein tolles Panorama, die Sonne scheint. Der Achensee glitzert in türkisblauen Farben und wird seinem Spitznamen „Tiroler Meer“ mehr als gerecht. In Pertisau auf der anderen Seite des Sees finde ich eine super Unterkunft, wo ich die letzten Sonnenstrahlen auf dem Balkon genieße.

 

13. September

Pertisau – Innsbruck

57,83km ↑190m ↓534m

Das Wetter ist weiterhin traumhaft und mein Frühstück ebenso! Verschiedene Teesorten, ein tolles Müsli-Buffet, ein frisch gemachter Smoothie für jeden Gast, frische Früchte (Feigen, Orangen, Mango), hier würde ich gern länger bleiben. Aber ist ja erst der dritte Tag! Beim Packen meiner Radtasche werde ich von einem Ehepaar angesprochen. Als ich wieder Rom sage, bekommen die sich kaum ein und sagen, dass sie sich das nicht trauen würden und ich so mutig sei. Dabei finde ich mich gar nicht mutig, mutig wäre es für mich, Achterbahn zu fahren oder Fallschirm zu springen, aber mit meinem Rad und alleine fühle ich mich pudelwohl. Allerdings habe ich großen Respekt vor der Abfahrt heute! Das Profil in meinem Radführer sieht super steil aus. Und es handelt sich wieder um einen Kiesweg! Am Ende stelle ich fest, dass mein Respekt größer als notwendig war. Die ganz steilen Abschnitte schiebe ich. Ansonsten geht es ganz gut und ist überhaupt nicht schwer. Auf dem Weg treffe ich auf zwei Amerikaner mit Rennrädern, die haben mit ihren dünnen Reifen in der Tat so ihre Schwierigkeiten. Am nächsten Ort treffe ich den einen wieder. Er erzählt, dass seine Freundin gestürzt ist. Ich wundere mich schon, dass er einfach weitergefahren ist. Aber seine Begleitung taucht ein paar Minuten später sichtlich genervt und top fidel auf und fragt ihren Freund “Are you waiting for something?“ Super Stimmung zwischen den beiden. Da lobe ich es mir doch, allein zu fahren, von wegen mutig! Nach der Abfahrt, die später auf Teer wechselt und so wesentlich mehr Spaß macht, geht es dann immer an der Inn entlang. Hier radelt ein älterer Mann neben mir und wir unterhalten uns wieder über meine Pläne. Er hat Sorge, dass mir etwas zustoßen könnte, so ganz allein. Irgendwann zieht er von dannen und ich sehe noch, dass er falsch abbiegt, doch meinen Ruf hört er nicht und ich sehe ihn auch nicht mehr wieder. Ich passiere Wattens, berühmt für die Swarovksi-Werke. Doch Sightseeing gibt es für mich erst einen Ort weiter, in Hall. Schon der Ortsname lässt erahnen, woher die Stadt ihren Namen hat, durch Salzabbau. Zeitweise war Hall sogar größer als das benachbarte Innsbruck. Dort beeinde ich meine heugie Etappe in einem geschichtsträchtigen Hotel: „Wir sind, Gott Lob, wohl auf. Wir logiren beym weisen Kreutz„, schrieb Leopold Mozart 1769 an seine Frau während einer Reise mit seinem Sohn Wolfgang Amadeus nach Italien. Ich bin Gott Lob auch wohl auf und nutze die Zeit zum Abend noch, um in den Gassen Insbrucks rumzustromern, bevor es morgen wieder in die Berge geht.

 

14. September

Brenner – St. Lorenzen

78,49km ↑689 ↓1260m

Ja, ich gestehe, auf den Brenner ging es mit der S-Bahn. Die Steigungen bisher fand ich als lediglich geübter Flachlandradler schon anstrengend und ich hab ja noch so einiges vor mir. Bis Rom möchte ich es schaffen! Zumal der Radführer implizit zu der Bahn rät, da man Abschnitte in stärkerem Verkehr radeln muss. Der Schaffner erzählt mir bei der Kartenkontrolle von seinen eigenen Brenner-Erfahrungen. Als er meint, es wäre lebensgefährlich auf der Straße zwischen dem LKW-Verkehr zu fahren, nimmt mir das ein wenig von meinem schlechten Gewissen. Beim Ausstieg hoch oben ist es merklich kühler. Ein paar andere Radler sind mit von der Partie, zusammen tragen wir die Räder und die Taschen die Treppen rauf und runter, einen Aufzug gibt es hier nicht. Zunächst geht es ein kleines Stück bergauf, dann beginnt die Abfahrt. Und die ist einfach nur WOW! Geteerte Straße, super. Schon bald muss ich noch eine Jacke und meine Handschuhe anziehen, in dem Fahrtwind und ohne Anstrengung ist es doch zu kühl. Das Fahren macht super viel Spaß, Kilometer für Kilometer rauscht nur so dahin. In Sterzing geht es direkt durch die Fußgängerzone. Zeit für eine Pause, zwischendrin gibt es immer ein paar Anstiege, die nach wie vor meine Kraft fordern. Rund um Aicha muss ich eine Umleitung fahren, die für ein paar zusätzliche Höhenmeter sorgt, zwischendrin bin ich ganz schön platt, aber ich merke auch, dass ich mich inzwischen schnell wieder erhole. Und es geht meist bergab durch Felder, wo man das Rad richtig schön laufen lassen kann. So ende ich den Tag sehr zufrieden und ein klein wenig ershöpft in St. Lorenzen, in dem ich vier Gänge zum Abendessen und ein Vernatsch genieße.

 

15. September

St. Lorenzen – Cortina D’Ampezzo  

64,47km ↑922m ↓547m

Heute steht die letzte Bergetappe in den Alpen an. Mein Vater ist diesen Weg bereits vor einigen Jahren gefahren. Trotz seiner Versicherung, dass der Weg nicht schwer ist, hab ich mal wieder gehörigen Respekt und Muffe, ob meine Kraft für den Anstieg reicht. Bis Bruneck ist es ganz einfach, aber das sind auch nur ein paar Kilometer. Die ersten Höhenmeter mache ich dann Richtung Nieder-/Mittel-/Oberlang, wo ich mich dann auch gleich mit leckerem Südtiroler Proviant eindecken kann: Schüttelbrot und Kaminwurzeln. Am Toblachsee mache ich eine Pause, bevor der letzte Anstieg in Angriff genommen wird. Ein paar Radler ziehen an mir vorbei, meist inzwischen schon bekannte Gesichter. Bald ist der Drei-Zinnen-Blick erreicht, leider ohne Zinnen, die haben sich heute in den Wolken versteckt. Das versprochene Foto für meinen Vater gelingt so leider nicht, zumal sich später herausstellt, dass ich auch noch die falschen Zinnen fotografiert habe. Für das richtige Foto wäre das Motiv genau in der anderen Richtung gewesen. Am Dürrensee glaube ich schon den Gipfel erreicht zu haben und lege stolz eine Pause ein. Doch nix da, es geht noch weiter bergauf und das bleibt auch noch eine Weile so. Aber der Weg ist wunderschön und die Steigung moderat. Trotzdem freue ich mich auf die Abfahrt. Als es dann soweit ist, fängt es an zu regnen. Die Regenklamotten verhindern leider nicht, dass ich nass und einigermaßen durchgefroren in Cortina D’Ampezzo ankomme. Hier muss ich inzwischen in strömendem Regen ein wenig länger nach einer Touristeninformation suchen. Diese vermittelt mir aber eine Unterkunft, in der ich erstmal lange und sehr heiß dusche. Und nach einem warmen Kakao und meiner ersten Pizza in Italien ist meine Welt wieder in bester Ordnung!

 

 

16 September

Cortina d’Ampezzo – Belluno

82km ↑678m ↓1405m

Morgens regnet es zum Glück nicht, obwohl die Wettervorhersage für den heutigen Tag gestern noch schauderhaft aussah. Stattdessen zeigt sich sogar blauer Himmel. Ich starte kurz nach acht und mache noch ein paar Fotos von Cortina. Da war gestern im Regen keine Gelegenheit. Die Stadt liegt wirklich schön, umgeben von den Dolomiten. Als es losgeht, geht es so gut wie nur bergab auf schönen asphaltierten Straßen. Ganz schnell rauschen heute die Ortschaften an mir vorbei. Der Weg führt größtenteils auf einer alten Bahntrasse und an den alten kleinen Bahnhofshäuschen vorbei, die heute andere Zwecke erfüllen, Informationsstände oder Cafés zum Beispiel. Bei Pieve di Cadore nehme ich die paar Höhenmeter bergauf gern in Kauf, um mit meinem Rad einmal durchs Zentrum zu schieben und auf dem Platz vor der Kirche eine erste Pause einzulegen. Danach geht es ein Stück sehr sehr steil bergab, ich hoffe, ich bin richtig, den Weg möchte ich sehr ungern zurückfahren, aber laut meiner roten Linie auf dem GPS ist alles im grünen Bereich. Und dann beginnt eine breite Serpentienstraße, die nur noch von Anliegern oder für Notfälle benutzt wird und kaum verkehrt wird, hier macht das Radfahren Spaß, der Wahnsinn! Es geht über das Pievetal nach Pararolo. Die Orte, die man passiert, wirken jedoch alle wie ausgestorben und wenig einladend. Dementsprechend finde ich auch keinen schönen Platz zum Einkehren. Die Kilometer rauschen weiter an mir vorbei, so einfach war es bisher noch an keiner Stelle. Unten in Castavallezo gab es 1963 eine große Tragödie, in der der Ort wegen eines Bergrutsches und damit vom überflutenden Stausee fast komplett überschwemmt wurde und viele Menschen ums Leben kamen. Da ich heute so gut vorangekommen bin, entscheide ich mich für einen Abstecher nach Belluno und verbringe den Rest des Tages damit, in den Gassen des Ortes herumzustromern, da meine Unterkunft wenig zum Verweilen einlädt. Und jetzt ist er auch da, der Regen …

 

 

 

 

 

17. September

Belluno – Conegliano

60km ↑435m ↓769m

In der Nacht hat es so heftig geregnet und gewittert, dass ich schon befürchtet habe, heute überhaupt nicht fahren zu können. Aber morgens ist es dann zwar trüb, aber regenfrei. Nach einem einfachen Frühstück geht es los. Kaum habe ich Belluno verlassen, ist die Aussicht wunderschön, die Wolken hängen in den Bergen und ich genieße den Anblick. Am Ufer des Lago di Santa Croce findet ein Fotoshooting statt, eine Frau in dünnem Kleidchen, sichtlich frierend und ein Mann in einer Maske lassen sich zusammen in unterschiedlichen Posen ablichten. Auf dem Stück hinter dem See geht es nochmal bergauf, mehrerer Rennradfahrer überholen mich quasi leichtbeinig. Kurz darauf wieder so schnell bergab, dass ich den zweiten See auf der Route den Lago Morto gar nicht zu Gesicht bekomme. Außerdem ist auf der Straße Verkehr, was einen Fotostopp ausscheiden lässt. Als ich in Vittorio Veneto bin, komme ich an einer Hochzeit vorbei, gegenüber ist ein Café und ich beobachte das Treiben bei einem Cappuccino. Es ist erst 12 Uhr und ich hab schon über 40 Kilometer geschafft. So macht mir das Spaß! Der weitere Weg führt am heute sehr rauschenden Fiume Mescio entlang und dann wird es richtig schön, die Sonne kommt heraus und ich fahre inmitten von Weinfeldern in der so typischen italienischen Landschaft an Granatapfelbäumen, Oleander, Olivenbäumen und Feigenbäumen vorbei. Italien wie im Bilderbuch! Erst jetzt merke ich, dass die Tage in den Dolomiten doch ein wenig bedrückend waren. Ob es am Wetter lag oder an den wenig einladenden Ortschaften? Was immer den Unterschied macht, gerade bin ich sehr erfüllt, glücklich, sprachlos und fahre jubelnd die Hügel rauf und runter. In Conegliano such ich vergeblich nach der Touri-Info und frage irgendwann direkt im Best Western nach einem Zimmer, der Preis ist vollkommen ok und das Zimmer ein wahrer Traum. Den Nachmittag verbringe ich wieder mit einer Ortsbegehung und laufe bis zur Burg bergauf, von der man einen tollen Ausblick hat. Abends gibt es Pasta und Tiramisu. In der Stadt ist gerade eine Autoausstellung und als ich zum Hotel zurückkehre, herrscht noch richtig Partystimmung auf den Straßen.

 

 

 

 

 

18. September

Conegliano – San Dona di Piave

91km ↑216m ↓280m

Für diesen Tag hab ich eine längere Etappe geplant, denn ich kann es kaum erwarten, in Venedig anzukommen, dem ersten Meilenstein meiner Reise. Nachts hat es wieder geregnet, doch noch sieht alles prima aus. Nach einer Weile radel ich jedoch auf eine wirklich bedrohlich wirkende schwarze Wolkenbank zu. In dieser Gegend sind zahlreiche Rennradfahrer unterwegs, die mich mit freundlichen „Ciaos“ begrüßen. Kaum bin ich im nächsten Ort angekommen, fängt es an zu blitzen und zu donnern. Ich stelle mein Rad ab und besuche ein kleines Bistro, in dem ich einen Cappuccino trinke und auf baldige Weiterfahrt hoffe. Doch nach einer Stunde hat zwar das Gewitter aufgehört, aber der Regen ist weiterhin in vollem Gange. Aber noch länger mag ich nicht warten und ich radle eingepackt in Regenhose und –jacke weiter. Schon bald entdecke ich zumindest einen hellen Streifen am Horizont. Na also, der beliebte und gern immer wieder zitierte Spruch „Dahinten wird es heller“ trifft hier mal wirklich zu. Es dauert trotzdem noch eine ganze Weile, bis der Regen aufhört. Als ich in Treviso ankomme, werde ich am Stadttor von ein paar Jungs im Auto hupend und jubelnd begrüßt. In der Innenstadt kann ich sogar eine Pause in der Sonne machen. Sehr viel Zeit für Sightseeing nehme ich mir hier nicht, hab ich doch heute schon so viel Zeit im Café verbracht. Und außerdem rollert es ganz gut heut. In Treviso gibt es zwei unterschiedliche Varianten, ich entscheide mich für die längere. Es geht am Sileufer entlang und bald schon erreiche ich Roncade. Der Rest des Weges zieht sich dann etwas, besonders die Feldwege sind matschig, voller Pfützen und nicht so gut fahrbar. Ich muss unter einer Brücke hindurch, wo sich ordentlich Wasser gesammelt hat. Das ist eine schöne Sauerei, kaum möglich, dort mit trockenen Füßen hindurchzukommen, denn fahren ist hier ausgeschlossen. Später geht es einen Deich entlang, auf Kies und durch zahlreiche Pfützen, doch noch schlimmer ist ein sich anschließender Grasweg, der heute eher zum Morast geworden ist. Nun bin ich einigermaßen langsam unterwegs. Als ich endlich wieder eine asphaltierte Straße erreiche, bin ich sehr dankbar. Manchmal kann das Gute so einfach sein. Am Ortsausgang von San Dona di Piave finde ich dann auch eine günstige Unterkunft und um den Akku für die morgige Etappe aufzuladen gibt es Pizza, die ist einfach unvergleichlich in Italien.

 

 

 

 

 

19. September

San Dona di Piave – Venedig

46,34km ↑33m ↓46m

Heute starte ich aufgeregt in den Tag, wenn alles gut geht, bin ich schon bald in Venedig! Zunächst geht es immer schön am Ufer des Piave entlang. Nachdem ich Jesolo passiert habe, kommen mir mehr und mehr Radler entgegen, ein ungewohnter Anblick in Italien. Denn sie sehen eindeutig nach Tagesausflüglern aus und nicht selten sind auch eBikes im Einsatz. Ich bin an diesem Tag besonders emotional. Meine Mutter, vor nur wenigen Monaten verstorben, hat Venedig geliebt. Wir kamen noch während sie schwer krank war, auf Venedig zu sprechen, da meinte sie, als sie zum ersten Mal dort war, hatte sie dennoch das Gefühl, die Stadt bereits zu kennen. Mein Vater führte das plausible Argument ein, dass das auch an den zahlreichen Brunetti-Filmen liegen könnte. Doch als ich noch einen Stechapfel am Wegesrand entdecke, eine der Pflanzen, die gerade auf der Terrasse meines Vaters blüht und noch von meiner Mutter im Frühjahr gezogen wurde, fühle ich mich nochmal mehr mit ihr verbunden. Und ein Ziel meiner Reise ist es eben auch, die vergangenen Monate zu verarbeiten, ging doch alles so wahnsinnig schnell.

Je weiter der Weg mich Richtung Venedig führt, desto touristischer wird er auch. Zahlreiche Campingplätze säumen die Straße. Und schon bald habe ich doch tatsächlich den Fähranleger erreicht. Auf die nächste Fähre muss ich nicht lang warten, doch ich suche zunächst mein Hotel auf dem Lido auf, bevor ich mich sehr glücklich und bei bestem Wetter zum Sightseeing in Venedig treiben lasse. Und dann mache ich es wie meine Mutter, auf dem Canale Grande rauf und runter!

 

 

 

 

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Ostermann Ingo sagt:

    Ein ganz toller Erfahrungsbericht. Toll beschrieben und ich kann die Gründe der Tour sehr gut nachvollziehen! Es ist doch das Glück eher im Einfachen zu finden (Fahrrad, Gepäck und Natur). Ich werde diesen Weg kommendes Jahr fahren! Danke für diesen Bericht.
    Grüße aus Brühl bei Köln sendet Ingo

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